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KEINE SONNENUNTERGÄNGE

Zur BILDGESTALTUNG in „FÜR DEN UNBEKANNTEN HUND“:

Kalt sollte es sein. Kalt und nass und ungemütlich. Wir wollten im Winter drehen.
Die Farbpalette reduziert: Blau, Weiss, Grau. Weich, verschwimmend. Und in diese Reduktion hinein, räumlich begrenzte, klare Akzente: Rot, Gelb, Orange. Leuchtend, schrill, künstlich.
Die Walz eines Handwerksgesellen dauert drei Jahre. Drei Jahre in 107 Filmminuten.
Das ist lächerlich. Wir haben den Wandergesellen Festus sagen lassen, der Betonbauer Bastian bekommt sechs Wochen Probezeit, bis er in die Gesellenbruderschaft aufgenommen wird oder nicht. Also sechs Wochen Wanderschaft in 107 Filmminuten. Das ist gewagt, vielleicht dreist, aber noch glaubhaft . Wenn die Kamera ruhig folgt, ruhig kadriert, behutsam beobachtet. Wir, die Zuschauer, sind keine Wandergesellen.
Deshalb keine Handkamera, keine falsche Subjektive. Nähe zu den Figuren stellt sich durch ihre Darstellung, ihre Sprache, ihre Erlebnisse, ihre Veränderungen, ihre Glaubwürdigkeit her, nicht durch verwackelte Bilder.
Und die Farbe? Ist eine weitere Ebene der optischen Verantwortung.
Nicht nur der Bildausschnitt, die Kamerabewegung, Lichter, das Hell und Dunkel, die Schauspieler im Raum, ihre Bewegungen, ihr Text, ihr Atmen beherrscht die Leinwand, sondern ein Hinweisschild, das laut ROT schreit und wichtiger wird als die Hauptfigur, ein Fensterrahmen der laut BLAU schreit und wichtiger wird als die Hauptfigur, ein Telefon das laut GELB schreit und wichtiger wird als die Hauptfigur.
Wenn es laut schreien soll, dann her mit der Farbe. Intensiv wie Signallichter eines Flugzeugs. Aber wenn nicht, dann soll, dann muss die Farbe leise werden oder sie muss schweigen.

Vier Beispiele:

1. Die Titel-Sequenz im Gefängnis:
Acht Monate soll unsere Hauptfigur, der junge Betonbauer Bastian, im Gefängnis verbracht haben. Nun wird er entlassen. Wir wollten eine Gefängisszene entwerfen, die ohne Zelle, ohne Kleiderübergabe, ohne Wachleute und ohne Worte auskommt.
Bastian verlässt den Ort seiner Gefangenschaft, er entfernt sich. Die Kamera bleibt fixiert. Wie die Beobachtungskameras an den Gefängniswänden. Ein Blick von oben nach unten.
Gleichzeitig sollte die Szene die Titelsequenz des Films werden. Die hoch abstrakten, streng stilisierten Titel-Sequenzen anspruchsvoller Filme aus den 60er Jahren waren gesuchtes Vorbild.
Deshalb die grell-farbigen Gefängnistore, deshalb die farblich extrem reduzierten Betonmauern der Hofwände. Ein Knast-Mondrian für die Filmtitel.

2. Festus im Krankenhaus:
„Für den unbekannten Hund“ arbeitet mit optischen und inhaltlichen Gegensätzen: Auf textlastige Schauspieler-Szenen folgen wortkarge oder wortlose, rein optische Szenen, auf beengtes Innen folgt horizont-weites Aussen, auf „Action“ Ruhe, auf monochrom  aggressiv bunt.
Bevor der Wandergeselle Festus durch den intensiv gelben Krankenhausflur stappft und dann wortreich seinen Reisegfährten Bastian tadelt, erlebt der Zuschauer die kühl-bläuliche, dialogarme Kirchenruinen-Szene. Hohe Steinmauern, scherenschnittartig gegen den weissen Himmel gesetzt.
Kurz vor dem Umschnitt auf Festus gibt es „Action“: Die grosse Steinrosette stürzt in Zeitlupe herab in die Tiefe des Kirchenschiffes.
So passend die Bergriffe Ruine, Steinmetzgesellen, Wanderschaft sind, so fremd und störend sollte der verschmutzte, im Sinne des Wortes erdige Festus in der antiseptischen Krankenhausatmosphäre wirken.
Zwei gegensätzliche Welten, die unversöhnlich auf einander stossen.
Deshalb ein futuristischer, knallgelber, hybrid sauberer Krankenhausgang, deshalb ein ebenso futuristischer Krankenhaus-Aufenthaltsraum mit Interenet-Station und Pop-Art-Skulptur.
Festus spricht in diesem Aufenthaltsraum vom Versagen seines Reisekollegen, er verlangt sogar die Kluft, die Erkenungszeichen-Kleidung eines Wandergesellen, von Bastian zurück. Die Rückgabe als „Entehrung“, als archaisches Bestrafungsritual: Männliche, vergangen wirkende Ehrbegriffe in die Welt von hier und jetzt gesetzt.

3. Die Elbchaussee-Villa:
Bastian ist ein konservativer Mensch. Wie immer mehr junge Menschen in West und Ostdeutschland.
Das Fremde, das Unbekannte, das Widersprüchliche bewertet er negativ. Die Wanderschaft wird das ändern. Er lernt Inke kennen, in der Schneiderei, in der seine neue Kluft genäht wird und in der sie arbeitet. Sie läd ihn und Festus zu sich ein: „Elbchaussee 234“ sagt sie.
Eine Elbchaussee-Villa, da betritt Bastian eine Welt, die er nicht kennt und nicht kennenlernen würde, wäre er nicht auf Wanderschaft. Es werden ihm weitere Fremdheiten dort begegnen. Bastian wird auf einen Bewohner treffen, der seine getragenen Socken verkauft und einen Kunden mit seinen dreckigen Füssen bedient. Inke wird Bastain sagen, dass dieser Bewohner ihr Freund ist. Und sie wird Bastian direkt ins Gesicht sagen, dass sie mit ihm schlafen will. Mit ihm und ihrem Freund. Zu dritt.
Eine für Bastian extrem negative, eine „schwule“ Angelegenheit.
Der Ort in dem ihm diese Fremdheiten begegnen, sollte das Ungewohnte, das Verunsichernde, das „Neuland“ sichtbar machen. „The house of Fun“ oder „The house of Horrors“, je nach persönlichem Standpunkt.
Im Widerstreit zwischen noch glaubwürdig und überzogen-extrem, plazierten wir Inke in den stillgelegten Pool der Villa. Das Blau-Grün der Kacheln gibt den Grundton. Kalt strahlende Neonröhren rund um den Beckenrand verstärken noch den abstrakten Raumeindruck. Ein „fremder Planet“ auf dem Festus und Bastian gelandet sind. Selbst ihre Schritte klingen auf dem Kachelboden verzerrt. Am Ende gewinnt nicht die Ablehung, sondern die Attraktion des Fremden. Bastian schläft mit Inke und ihrem Freund. Taghell ausgeleuchtet.

4. Landschaft und Landstrasse in der Schlusseinstellung:
Alles durchgängig blau gefärbt, oder sepia oder rot. Alle Sets digital oder alle gebaut oder alles „echt“, alles reale Orte. Die Kamera immer in Bewegung, immer folgend, mitgehend, mitschwenkend oder alles statisch, ruhig, fest kadriert.
„Für den unbekannten Hund“ hat keinen „Look“. Nichts vom Genannten wird durchgängig, nichts auf 107 Minuten gedehnt gezeigt. Alles kommt vor, wechselt, von Szene zu Szene, sogar von Einstellung zu Einstellung.
Ein Wechsel, der aufwecken, zum Hinsehen auffordern will.
Gleich bleibt etwas anderes: Die Haltung der Kamera der Ausstattung, der Farbgebung, der Bildgestaltung dem Inhalt, der Psychologie der Figuren gegenüber. Sie soll ihr dienen.
Das Schlafzimmer von Bastians Freundin Nadine als hartkontrastig ausgeleuchte „Gefängniszelle“ mit Gitterfenster, weil es sich in nur einer Einstellung klar machen sollte, dass Bastians Leben nach seiner Knastzeit nur eine Fortsetzung und keine Alternative wird.
Die Steinmetzwerkstatt in der Kirchenruine als ein fast kitschiges, in „schönes“ Renaissance-Licht getauchtes Gehäuse, weil diese kurze Szene sichtbar machen sollte, dass Arbeiten auf Wanderschaft eine andere, hörere Qualität hat, als Bastians bisheriges „Schufften beim Bau“.
Die Dorfdisko im umfunktionierten ehemaligen Siloturm, als „place of now return“, weil es von der Spitze eines Turms kein Nach-Vorne-Gehen mehr geben kann. Nur ein Zurück. Der Ort für Leilas Abschiedsworte an Festus macht deutlich, wie ernst gemeint sie sind. Im wahren Sinne des Wortes unumkehrbahr. Unten in der Dorfdisko, auf dem Weg zurück, wartet ihr Lebensgefährte Lemmy auf Leila.
Und der Acker am Ende des Films als banale, fast hässliche, ebenso undramatische wie unromantische Landschaft, weil das Daumen-Raus und hoffen mitgenommen zu werden, weil das stundenlang im Regen stehen und warten, weil das Nichtwissen wo man schläft, aufwacht , arbeitet, weil das „Tippeln“ und „auf der Walz“ sein, weil der Alltag der Wanderschaft banal, hässlich und unromatisch ist.
Und so wollten wir es in der Schlusseinstellung zeigen: banal und unromatisch. 
Eine öde, nicht lokalisierbare Landschaft. Kein „Bild“. Ein Everytown, everywhere.
Banalität zeigen, das ist das schwerste. Da steht all die teure Technik, der Kamerakran, die Schiene, die Weitwinkel-Optik, die vierzig Mitarbeiter und Du Regisseur verlangst Banalität.
Die zweieinhalb minütige Schluss-Szene besteht aus einer einzigen Einstellung, einem durchlaufenden Kamera-schwenk. Erst Detail: Eine Telefonkarte springt aus dem Einsteckschlitz, dann Schwenk auf Gross: Bastian knöpft sein Kluft-Jacket zu, dann Gross: Bastian hebt seinen Kopf ( der Zuschauer sieht sein alt gewordenes Gesicht ), dann Nah bis Halbnah: Bastian dreht sich um, schultert sein Reisebündel, geht einige Meter auf der Landstrasse, dann Halbnah bis Halbtotal: Bastian dreht sich erneut um, streckt den Daumen raus, wartet auf ein Auto, dann Halbtotal bis Total: das Auto fährt vorbei, Bastian wandert weiter auf der regennassen Landstrasse, ein zweites Auto fährt vorbei, Bastian wandert weiter, dann Total bis Super-Total: Bastian wendet sich von der Strasse ab, wandert über die Felder bis er in der Entfernung, der zunehmenden Unschärfe langsam verschwindet.
Wenn man sich verabschiedet, von einem Freund, einem geliebten Menschen, für immer verabschiedet, auf dem Bahnsteig, am Schulhof, Kasernenhof oder Gefängnistor oder eben ganz banal am Strassenrand, wenn das Gespräch beendet, eine letzte Umarmung, ein letzter Blick ausgetauscht sind, dann kommt der Moment, der gefürchtete Moment, an dem der eine sich umdrehen und gehen wird und der andere stehen bleiben muss.
Man bleibt stehen, schaut dem Verschwindenden nach. Alles wird wichtig, prägt sich ein: Die banale Landschaft, das banale Strassenschild, dass der Himmel grau war, der Regen regnete, die Wind rauschte oder schwieg. Man schaut hinterher, alle Sinne angestrengt, liebend, respektvoll, diszipliniert. 
Und so macht es die Kamera in der Schlusseinstellung unseres Films.
Ohne Musik, ohne Kranfahrt, ohne Sonnenuntergang.

 


Film-Set: Tankstelle

   
Entwurf Bildgestaltung Ausführung Bildgestaltung

Film-Set: Kraftwerkssaal

   
Entwurf Bildgestaltung Ausführung Bildgestaltung

Film-Set: Fontänen

   
Entwurf Bildgestaltung Ausführung Bildgestaltung

Film-Set: Krankenhauseingang

   
Entwurf Bildgestaltung Ausführung Bildgestaltung


BIO- UND FILMOGRAFIE KAMERA:

AXEL HENSCHEL, Kameramann:

Axel Henschel gehört zu den wenigen deutschen Directors of Photography, die ihr Handwerk noch in klassischer Tradition vom Kopierwerk bis zum Filmstudio gelernt haben. Seine einfühlsame Kameraführung gilt als beispielfhaft für eine der Filmhandlung und besonders den Schauspielern dienenden Bildsprache.
Seinen hohen optischen Anspruch belegen komplizierte Kamera- und Kranfahrten, Greenscreen-Aufnahmen für digitale Bilder, klar komponierte szenische Auflösungen ebenso, wie seine sich stets der Filmgeschichte anpassende, subtile Lichtsetzung.
Eine weiche, fast schwebende Handkamera gilt als seine Spezialität.
Für seine handwerklich wie künstlerisch herausragende Leistung als Kameramann für den Kinofilm „Oi!WARNING“ erhielt er die Lobende Erwähnung beim Deutschen Kamerapreis und Einladungen zu den internationalen Kamerafestivals von Torun, Polen und Santa Barbara, USA.
Zu seinen Hauptarbeitsgebieten zählt neben Kino und Fernsehspiel, ebenso Serie und Dokumentarfilm.
Der Kinofilm „FÜR DEN UNBEKANNTEN HUND“ ist nach „Oi!WARNING“ seine zweite Zusammenarbeit mit den Regisseuren/Produzenten Dominik und Benjamin Reding.


Axel Henschel